Vom 5. Mai bis 25. Juli 2007
wird im Martin-Gropius-Bau die Ausstellung
"Angkor-Göttliches Erbe Kambodschas" in Berlin gezeigt.
Zum ersten Mal ist die weltberühmte alte kamodschanische Kunst in einer
großen Ausstellung in Berlin zu sehen. Seit ihrem Bekanntwerden in der Mitte
des 19. Jahrhunderts hat sie das kunstinteressierte Publikum Europas
fasziniert und in Staunen versetzt.
Der Name Angkor steht seither für geheimnisvolle, ausgedehnte Tempelanlagen
im Dschungel Kambodschas, die auch heute noch eine Vorstellung von ihrer
einstigen Pracht geben können. Seit sich das Land in Folge der Pariser
Friedensabkommen Anfang der 1990er Jahre politisch zu stabilisieren begann,
wurde auch die Region von Angkor wieder für Reisende zugänglich. Die
großartige Kultur des alten Khmer-Reiches mit ihren zwischen dem 9. und 13.
Jahrhundert errichteten Bauten kehrte mehr und mehr in das Bewusstsein der
Weltöffentlichkeit zurück. Doch welcher Geist steht hinter den
überwältigenden Tempelanlagen, welchen Gottheiten waren sie geweiht, auf
Grund welcher sozialen und ökonomischen Struktur konnten sie errichtet
werden? Wie sah die Gesellschaft aus, die derartige Leistungen zu
vollbringen im Stande war? Welches Selbstverständnis hatten ihre Könige?
Dies sind Fragen, die sich jeder stellt, der das alte Kambodscha kennen
lernen möchte.
Die Ausstellung bietet nicht nur die Möglichkeit, sich einen Überblick über
die Vielfalt der Kunst zu verschaffen, sondern greift auch wichtigste
kulturgeschichtliche Themen auf, so dass die Besucher auch eine Vorstellung
vom historischen, sozialen und religiösen Kontext der Werke bekommen.
Angkor war der Mittelpunkt eines Reiches, das sich zu seiner Blütezeit im
Westen über den Chao Praya (heutiges Thailand) hinaus, im Osten bis zur
Annamitischen Bergkette (heutiges Vietnam), im Norden bis zum Mekong-Bogen
(heutiges Laos) und im Süden bis zum Kap Kamau (heutiges Vietnam)
erstreckte. Die Tiefebene am Großen See (Tonle Sap), in der Angkor liegt,
eignete sich gut für den Reisanbau. Hölzer und Wild sowie (Bold, Edelsteine
und Seide beförderten den Handel, der über Tonle Sap und Mekong auch
Meereszugang hatte. Eine gut organisierte Wasserwirtschaft und ein
ausgedehntes Netz von Kanälen regulierte die Bewässerung der Reisfelder. In
dieser mit Naturschätzen gesegneten Umgebung entwickelte sich das Land zum
damals mächtigsten Reich Südostasiens.
Rund 120 Steinplastiken, Bronzefiguren und Holzskulpturen sowie
Silberarbeiten und Malereien werden aus dem Nationalmuseum in Phnom Penh
nach Berlin kommen. Leihgaben aus dem Museum für Asiatische Kunst, Berlin
und dem Musee National des Arts Asiatiques Guimet in Paris ergänzen das
Bild. Der zeitliche Bogen spannt sich vom 7. Jahrhundert bis in die Neuzeit,
denn es ist ein Anliegen der Ausstellung zu zeigen, aufweicher kulturellen
Grundlage sich Angkor entwickelte und wie sein Erbe bis heute nachwirkt. Die
frühesten überlieferten und in der Ausstellung präsentierten Kunstwerke
stammen aus den Prä-Angkor Reichen Funan und Zhenla im Süden und Nordosten
des heutigen Kambodscha. Es handelt sich um buddhistische und brahmanische
(hinduistische) Steinskulpturen aus dem 7. und 8. Jahrhundert, die von
großer Schönheit sind und eine erstaunliche künstlerische Perfektion zeigen.
Sie stehen in der Tradition indischer Kunst und haben doch einen eigenen,
unverkennbaren Stil. Sandsteinstelen mit Inschriften vermitteln einen
Eindruck von der überragenden Bedeutung der Epigraphie für unsere Kenntnis
der Zeit. Bis zum 14. Jahrhundert bleibt sie die wichtigste
Informationsquelle für alle Aspekte der Khmer-Kultur.
Die eigentliche Angkor-Epoche begann im 9. Jahrhundert mit der Verlegung des
Machtzentrums nach Westen in die Nähe des Tonle Sap. Der erste Tempelberg
aus Stein, umgeben von breitem Wassergraben und Umfassungsmauern, wurde als
magisch-religiöses Zentrum des Reiches geweiht. Die Anlage folgte einer bis
in das 13. Jahrhundert hinein verbindlichen kosmologischen Konzeption: Sie
sah die Erde als ein von Gebirgsketten (Umfassungsmauern) umgebenes Viereck.
Jenseits dieses Gürtels dehnen sich die mythischen Urozeane (Wassergraben)
aus. In der Mitte des Vierecks bildet der Berg Meru, auf dem die Götter
wohnen, die Weltachse (Tempelberg). Der Haupttempel war oft von kleineren
Schreinen umgeben, in denen Götterstatuen aufgestellt wurden. Neben
Architekturelementen wie reliefierten Türstürzen und Balustraden wird eine
beeindruckende Anzahl von teilweise überlebensgroßen Stein- und
Bronzefiguren aus diesen Tempeln in der Ausstellung zu sehen sein.
Gezeigt werden brahmanische wie auch buddhistische Kultbilder. Ihre
stilistischen Varianten sind äußerst vielfältig. Sie reichen von imposanter
Repräsentation, eleganter Schlichtheit und mitreißender Dynamik bis zu
tiefer Spiritualität. Eines der großartigsten Werke ist eine selbst in ihrem
fragmentarischen Zustand noch überwältigende Bronzefigur des Gottes Vishnu.
Deutlich spiegeln sich Lebensgefühl und Rollenverständnis der Auftraggeber
im Stil wider.
Den für die Kunst Angkors so typischen Flachreliefs am gigantischen
Tempelberg Angkor Wat (erbaut zwischen 1113 und 1150), der als die
großartigste Schöpfung der Khmer-Architektur gilt, wird besondere
Aufmerksamkeit gewidmet. Als unbewegliche Kunstwerke können sie nur
auszugsweise auf originalgroßen Fotofriesen und Gipsabgüssen präsentiert
werden. Auf ein Ersatzmedium übertragen, vermitteln sie dennoch auf
beeindruckende Weise die überbordende Phantasie und künstlerische Perfektion
in der Darstellung epischer und mythischer Ereignisse.
Unter der Herrschaft des mahayana-buddhistischen Königs Jayavarman VII.
(1181-1220) erlebte Angkor eine letzte große Blütezeit. Seine Tempelbauten
sind den buddhistischen Idealen Mitgefühl und Weisheit verpflichtet. Am
deutlichsten ist dies an den Gesichtertürmen zu erkennen, die wie kein
anderes architektonisches Phänomen die späte Angkor-Zeit prägen. Das
verinnerlichte Lächeln auf den monumentalen Gesichtern, das berühmte Lächeln
Angkors, ist charakteristisch für diese Zeit. Es findet sich auch auf den
herausragenden Steinskulpturen und Bronzefiguren von Buddhas und
Bodhisattvas, die in der Ausstellung gezeigt werden. Einzigartig darunter
ist ein Porträtkopf aus poliertem Sandstein von Jayavarman VII. selbst, eine
Rarität sondergleichen, denn außer den wenigen von ihm und vermutlich seiner
Frau Jayarajadevi überlieferten Porträts gibt es keine Darstellungen
individueller Persönlichkeiten in Angkor.
Nach dem Tod dieses bedeutenden Herrschers setzte eine Stagnation ein und im
15. Jahrhundert wurde Angkor von den Khmer-Königen ganz verlassen. Sie
gründeten eine neue Hauptstadt im östlichen Teil des Landes nahe des Mekong.
Die Staatsreligion war nun der Theravada-Buddhismus mit Stupa und Pagode als
religiösem Zentrum. Das indische Epos Ramayana, in der Angkor-Zeit vielfach
dargestellt, blieb in seiner kambodschanischen Form (Reamker) weiterhin von
größter Bedeutung als Träger religiösen Wissens. Nicht mehr in Stein
gemeißelt, sondern auf die Innenwände der Pagoden gemalt und immer wieder
erneuert, hat es bis in das 20. Jahrhundert hinein das künstlerische
Schaffen Kambodschas geprägt. Eine Folge von Szenen des Reamker, Anfang des
20. Jahrhunderts in Tempera auf Leinwand gemalt, wird diese wichtige
Tradition in der Ausstellung dokumentieren. Angkor ist durch alle
Jahrhunderte hindurch Bezugspunkt nationaler Identität geblieben. Sein Erbe
prägt bis heute das Selbstverständnis der Kambodschaner.
Pressekontakt
Ute Weingarten
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Angkor-Göttliches Erbe
Kambodschas
5. Mai - 29. Juli 2007
Wandtexte in der Ausstellung
Das Khmer-Reich
Die politische Geschichte des frühen Kambodscha wird üblicherweise in drei
Epochen unterteilt: die Funan-Zeit (1./2./3. Jahrhundert - Anfang 7.
Jahrhundert), die Zhenla-Zeit (7. und 8. Jahrhundert) und die Angkor-Zeit
(9. - 15. Jahrhundert). Keine dieser Bezeichnungen ist durch historische
Quellen aus der Region selbst verbürgt. Bei "Funan" und "Zhenla" handelt es
sich zweifellos um die chinesische Überlieferung damals üblicher
Bezeichnungen. Angkor ist von "Nagara", dem Sanskrit-Wort für Stadt,
abgeleitet.
Funan erstreckte sich über das Küstengebiet des heutigen Kambodscha und die
angrenzende Region Südvietnams. Oc Eo war ein bedeutender Handelsplatz
zwischen China, Südostasien und Indien. Die damalige Hauptstadt des Landes
wird aufgrund archäologischer Funde in der Nähe des heutigen Angkor Borei
vermutet. Als sich der Seehandel im 6. Jahrhundert auf eine direktere
Schifffahrtsroute zwischen Indonesien und China zu verlagern begann, setzte
der Niedergang von Funan ein und die Khmer-Könige aus dem Hinterland kamen
an die Macht. Ihre Hauptstadt lag etwas nördlicher in der Mekong-Ebene beim
heutigen Sambor Prei Kuk. An der Wende zum 9. Jahrhundert verlegten die
Khmer-Könige ihr Herrschaftszentrum von der Randlage im nordöstlichen
Landesteil nach Westen in die Nähe des Großen Sees. Angkor wurde im 10.
Jahrhundert Mittelpunkt des Reiches, das sich nun Kambujadesha nannte, das
Land der Nachkommen von Kambu, einem mythischen Vorfahren. Zwischen dem 11.
und 13. Jahrhundert gewann es seine größte Ausdehnung und umfasste weite
Gebiete des heutigen Vietnam, Thailand und Laos. Der Reichtum des Landes,
das in Überfülle die in ganz Asien begehrten Handelsgüter wie edle Hölzer,
seltenes Wild und Edelsteine besaß und dank seiner geschickten Nutzung des
Wassers über ertragreiche Reisernten und einen unerschöpflichen Bestand an
Fischen verfügte, ermöglichte es den Königen viele Jahrhunderte hindurch,
ein ehrgeiziges Bauprogramm zu verfolgen, so dass eine Vielzahl von Tempeln
in allen Landesteilen entstand. Die wichtigsten Anlagen außerhalb des
engeren Angkor-Gebietes konzentrieren sich nördlich und westlich des Großen
Sees und in der Mekong-Ebene.
Im 15. Jahrhundert verließen die Khmer-Könige Angkor wieder, um in den
östlichen Landesteil zurückzukehren. Die Verlegung der Hauptstadt nach Phnom
Penh geschah nicht nur aufgrund der exponierten Stellung Angkors in
relativer Nähe zum expandierenden Thai-Reich Ayutthaya, sondern
hauptsächlich wegen der besseren Bedingungen für die Handelsbeziehungen mit
China und der Kontrolle des Flusshandels auf Mekong und Tonle Sap.
Der prägende Einfluss der indischen Kultur
Die frühesten überlieferten Kunstwerke der Khmer stammen aus dem 6. und 7.
Jahrhundert nach Christus. Es handelt sich um brahmanische (hinduistische)
und buddhistische Stein- und Holzskulpturen, die von großer Schönheit sind
und eine erstaunliche künstlerische Perfektion zeigen. Sie stehen in der
Tradition indischer Kunst und haben doch einen eigenen, unverkennbaren Stil.
Indischer Einfluss hat sich im Zuge von Handelsbeziehungen schon vor der
Zeitenwende, aber verstärkt in den ersten Jahrhunderten n. Chr. in ganz
Südostasien ausgebreitet. Die Religionen Buddhismus und Brahmanismus mit
ihrer Mythologie und ihren heiligen Schriften sowie die epischen Dichtungen
Ramayana und Mahabharata wurden aufgenommen, verarbeitet, der lokalen
Tradition angepasst und schließlich zu einer unverwechselbar eigenen Kultur
entwickelt. Die altindische Sprache Sanskrit, seit dem 6. Jahrhunderts in
der Epigraphie der Khmer nachgewiesen, war die heilige Sprache schlechthin.
Die meisten Inschriften, die von königlichen Stiftungen wie Tempeln oder
Statuen berichten und Hymnen an die Götter sowie Elogen auf den Herrscher
enthalten, wurden bis in das beginnende 14. Jahrhundert hinein auf Sanskrit
verfasst und in der aus einem südindischen Alphabet entwickelten
Khmer-Schrift geschrieben. Daneben sind seit dem 7. Jahrhundert
Steininschriften auf Khmer erhalten. Die reichhaltige Epigraphie ist die
wichtigste Informationsquelle bis zum Ende der Angkor-Zeit, denn andere
Texte sind nicht überliefert. Die Daten, die sie erwähnt, stellen eine
unverzichtbare Hilfe bei der chronologischen Einordnung der Könige und ihrer
Bauwerke dar. Darüber hinaus geben die Inschriften Einblick in die
gesellschaftlichen Verhältnisse und vermitteln ein lebendiges Bild des
damaligen Lebens.
Die Götterbilder stellen am häufigsten Shiva, Vishnu und die mächtige Devi
dar. Auch die Gattinnen der beiden, Parvati (oder Uma) und Lakshmi sowie die
Söhne Shivas, Ganesha und Skanda, gehören zu den viel verehrten Gottheiten.
Die meisten Khmer-Könige waren Anhänger des Gottes Shiva. Seinen Aspekt als
Schöpfergott repräsentiert das Linga. Dieser säulenartige, oben abgerundete
Schaft, hervorgegangen aus einem frühen Phalluskult, ist das Symbol für
seine Fähigkeit, Leben zu erschaffen und gleichzeitig für seine höchste,
absolute Form. Tausende von Lingas wurden in den Bergen nahe Angkor in das
felsige Bett von Flüssen geschlagen und verwandelten sie in den indischen
Ganges, den Fluss Shivas, damit er das Land der Khmer befruchtet.
Schöpfungsmythen
In den brahmanischen (hinduistischen) religiösen Schriften verkörpert die
Trinität von Brahma, Vishnu und Shiva die drei kosmischen Fähigkeiten:
Brahma erschafft die Welt, Vishnu beschützt ihren Ablauf und Shiva setzt ihr
ein Ende. Theoretisch als gleichwertige Emanationen des Absoluten angesehen,
hat sich in der religiösen Praxis jedoch durchgesetzt, dass entweder Vishnu
oder Shiva von ihren jeweiligen Anhängern als Hauptgott angesehen wird und
die beiden anderen sich ihm unterordnen. Dass aber jede
Religionsgemeinschaft auch den jeweils anderen Gott achtet, zeigen die für
die Prä-Angkor-Zeit typischen Bildnisse des Harihara, der Shiva und Vishnu
in einer Gestalt vereint.
Für die Shivaiten ist Shiva der Schöpfer der Welt und Herr des Universums.
Diese Fähigkeit symbolisiert das Linga, das einerseits seinen Phallus als
Ausdruck seiner Schöpferkraft, andererseits aber auch seine absolute Form
darstellt. Die Vishnuiten glauben dagegen, dass Vishnu die Rolle des
Weltschöpfers zufällt. Der vishnuitische Schöpfungsmythos ist eng mit der
Vorstellung vom Urmeer, aus dem sich das Leben entwickelt, verbunden. Die
riesigen künstlichen Seen in Angkor repräsentierten, abgesehen von ihrer
Funktion als Reservoire für die Bewässerung der Reisfelder, das
uranfängliche Meer. Deshalb wird Vishnu im Wasser liegend dargestellt,
getragen von der kosmischen Schlange Ananta (ohne Ende). Sein Wille zur
Schöpfung bewirkt, dass aus seinem Bauchnabel ein Lotos wächst, auf dem
Brahma erscheint. Dessen Aufgabe ist es, mit seinen vier in alle
Himmelsrichtungen blickenden Gesichtern die dingliche Welt von Zeit und Raum
zu definieren. Hier wurde geschickt die frühere Überlieferung von der
Schöpferrolle Brahmas zu Gunsten von Vishnu umgeformt. Auch die Szene vom
Hochstemmen des Berges Govardhana gehört zu den vishnuitischen
Schöpfungsmythen, weil Vishnu in Gestalt von Krishna einen geschützten Raum
schafft, der das Leben ermöglicht.
Die Große Göttin Bhagavati Mahishasuramardani, von der hier eine der
elegantesten Skulpturen der Khmer-Kunst zu sehen ist, wird in der Prä
Angkor-Zeit häufig, später kaum noch dargestellt. Ihr Kampf gegen den
Büffeldämon greift einen in der Mythologie vielfach behandelten
Themenkomplex auf, nämlich den Kampf des Guten gegen das Böse, des Lichts
gegen die Finsternis, der Ordnung gegen das Chaos.
Wohnstätten für die Götter
Aus den Hauptstädten von Funan und Zhenla, die bei den heutigen Orten Angkor
Borei und Sambor Prei Kuk lagen, sind zahlreiche Tempel aus dem 7. und 8.
Jahrhundert überliefert.
Es handelt sich zumeist um recht kleine, über einem quadratischen Grundriss
errichtete Turmheiligtümer mit einem nach Osten geöffneten Sanktum, in dem
die oft erstaunlich große Steinstatue der Gottheit stand, der das Heiligtum
geweiht war. Die Tempel wurden aus gebrannten Ziegeln gebaut, doch für die
Türlaibungen mit den flankierenden Pilastern und für die Türstürze hat man
Sandstein als dauerhaftes Material verwendet. Die Türlaibungen tragen
vielfach Inschriften, während die reliefierten Türstürze häufig von üppigen
Ranken bedeckt sind, die aus den Mäulern von Wasserungeheuern entspringen.
Vermutlich lassen sich die Ranken auf Rituale zurückführen, bei denen die
Tempel mit Girlanden geschmückt wurden. Viele Türstürze tragen Reliefs mit
figürlichen Darstellungen aus der indischen Mythologie, die zeigen, dass dem
Eingang zum Heiligtum als Schwelle zwischen dem Profanen und Sakralen eine
besondere Symbolik zukam. Ihre stilistischen Merkmale sind vor allem dann,
wenn Inschriften fehlen, die wichtigsten Hinweise auf eine chronologische
Einordnung der Bauten.
An der Wende zum 9. Jahrhundert gelang es König Jayavarman II., die
verschiedenen Khmer-Reiche zu einen. Er verlegte seine Hauptstadt von der
Randlage im nordöstlichen Landesteil in das Zentrum weiter westlich nahe dem
Großen See und dem späteren Angkor. Unter seinem Nachfolger Indravarman I.
(877 - 889) setzte eine beispiellose Bautätigkeit ein und die Konzepte von
Ahnentempel, Tempelberg als Zentrum des Reiches und gigantischem
Wasserreservoir wurden entwickelt, die für alle späteren Khmer-Könige die
Maßstäbe setzten und fortan die Baupläne sowohl brahmanischer als auch
buddhistischer Anlagen bestimmten. Die Herrscher ließen die Tempel und
künstlichen Seen nicht nur als Ausdruck ihrer Macht im Diesseits bauen,
sondern wollten auch ihre eigene Vergöttlichung nach ihrem Tod sichern, um
mit dem von ihnen verehrten Gott zu verschmelzen und so einen ewig währenden
Seinszustand zu erlangen. Der Wunsch nach Dauer bestimmte in hohem Maße ihr
Handeln und trieb sie zu immer größeren und prächtigeren Bauvorhaben an.
Dauer war jedoch nur durch ein Leben im Einklang mit den Göttern zu
erhoffen. Die Tempelbauten zu ihren Ehren sollten den Königen ein Maximum an
religiösen Verdiensten verschaffen.
Der Buddhismus in der Prä-Angkor-Epoche
Buddhismus und Brahmanismus (Hinduismus) müssen schon in den ersten
Jahrhunderten nach Christus in Südostasien bekannt gewesen sein. Sowohl aus
Funan als auch aus Zhenia sind ab dem 6. Jahrhundert Inschriften und
Kunstwerke überliefert, die bestätigen, dass beide Religionen nebeneinander
praktiziert wurden, wobei vermutlich der Brahmanismus eine größere Rolle
spielte. Es konnte bisher nicht eindeutig geklärt werden, welcher Schule des
Buddhismus die Gläubigen folgten, dem Kleinen Fahrzeug (Hinayana) oder dem
Großen Fahrzeug (Mahayana). Die meisten Kunstwerke zeigen den Buddha in der
seit dem 1. Jahrhundert nach Christus aus Indien bekannten Gestalt eines
Wanderpredigers in einem schlichten Gewand, ohne jeglichen Schmuck, aber
versehen mit einigen Kennzeichen eines "Großen Menschen", zu denen seine
Frisur aus rechtsdrehenden Schnecken-löckchen und vor allem die
Schädelauswölbung gehören. Sie markiert den heiligsten Ort des Körpers und
ist der Quell aller Weisheit. Die Lotosblüte, auf der der Buddha sitzt oder
steht, zeigt, dass er ein Erleuchteter von vollkommener Reinheit ist, denn
der Lotos, dessen langer Stängel aus dem Schlamm des Seebodens durch das
reinigende Wasser hindurch zur Oberfläche wächst und seine weiße oder rosa
Blüte im Sonnenlicht öffnet, symbolisiert Klarheit des Geistes und
Losgelöstsein von allem Irdischen.
Diese Skulpturen stellen im Allgemeinen den Buddha Shakyamuni dar, den
Weisen aus dem Shakya-Geschlecht, eine historische Persönlichkeit, die im 5.
-4. Jh.v.Chr. in Nordindien lebte und die Lehre von den vier edlen
Wahrheiten vom Leid sowie dem achtgliedrigen Pfad zur Aufhebung des Leids
gepredigt hat, mit dem Ziel, den Kreislauf der Wiedergeburten zu überwinden
und das Nirvana zu erfahren. Nach seinem Tod ist er in das Vollkommene
Nirvana eingegangen. Von dort kann er nicht mehr direkt auf die Menschen
einwirken, aber seine Lehre und sein vorbildliches Leben bleiben für die
Gläubigen ein leuchtendes Beispiel, das sie anspornt und ihnen den Weg
weist. Konkrete Hilfe auf diesem Weg können sie von den Bodhisattvas
bekommen, Wesenheiten, die schon die Erleuchtung erlangt haben, aber aus
Mitleid mit den Menschen darauf verzichten, in das Nirvana einzugehen. Sie
helfen ihnen, den "Ozean der Wiedergeburten" zu überqueren, indem sie in Not
und Gefahren schützend eingreifen und ihnen zeigen, wie sie gutes Karma
ansammeln können. In der Prä-Angkor-Zeit wurden die Bodhisattvas
Avalokiteshvara und Maitreya häufig dargestellt.
Die Vielfalt der Götter
"Es gibt nur einen Gott, aber er hat viele verschiedene Erscheinungsformen".
Nach diesem hinduistischen Glaubenssatz wurden in Indien und in den von
indischen Religionen geprägten Ländern Götterbilder von beispielloser
Vielfalt geschaffen. In Kambujadesha, wie sich das Khmer-Reich in der
Angkor-Zeit nannte, bestimmten die beiden großen Götter Vishnu und Shiva bis
zum Ende des 12. Jahrhunderts das religiöse Leben, und ihre Kulte bildeten
die Grundlage des Königtums. Es ist bezeichnend für die Toleranz dieser
Epoche, dass die Könige nicht nur beide Religionsgemeinschaften förderten,
sondern auch der Buddhismus anerkannt war und unterstützt wurde.
Shiva und Vishnu können sich den Gläubigen in höchst unterschiedlichen
Gestalten zeigen, je nachdem, welcher Aspekt ihres umfassenden Wesens dem
Ort, der Situation und dem Bedürfnis der Anhänger angemessen ist. Abgesehen
davon gehört in Anlehnung an die menschliche Lebensorganisation eine Familie
zu ihnen, und sie werden von ihren Reittieren begleitet, die als ihre treuen
Helfer auch göttlichen Status haben.
Shiva repräsentiert vor allem die spirituelle Vollkommenheit und das
transzendente Wissen des ungebundenen, Grenzen überschreitenden und
Konventionen sprengenden Geistes, während Vishnu das Ideal pragmatischer
Lebenstüchtigkeit und das gute Gesetz von Recht und Ordnung verkörpert. In
gewisser Weise spiegeln beide den unauflöslichen Gegensatz des menschlichen
Daseins wider: den Wunsch nach Beständigkeit und die Erfahrung, dass alles
Irdische dem Prozess von Werden und Vergehen unterworfen ist.
Jedes Detail eines Kultbildes sagt etwas über die Bedeutung der Gottheit
aus. Frisur, Schmuck und Attribute kennzeichnen ihr Wesen und ihre Funktion.
Die Haarflechten Shivas sind die eines Asketen, der sich um Erkenntnis
bemüht. Die hohe Königskrone Vishnus weist darauf hin, dass er für das
Wohlergehen der Welt sorgt. Je mehr Köpfe und Arme die Götter haben, desto
besser können sie ihre vielfältigen Aufgaben erledigen. Brahma schaut mit
seinen vier Köpfen in alle vier Himmelsrichtungen und zeigt damit, dass er
allgegenwärtig ist. Seine vier Münder sprechen gleichzeitig die vier Veden,
die alten, heiligen Texte. Neben den Kultbildern in den Tempeln und
Schreinen und den Darstellungen von Gottheiten und mythischen Szenen auf den
Reliefs der Türstürze bereichern auch halbgöttliche Wesen das Pantheon
Angkors. Es sind vor allem die schönen Apsaras neben Tür- und
Fensteröffnungen und die Wächterfiguren in Tierform oder in
menschlich-tierischer Gestalt an den Treppenaufgängen zu den Heiligtümern,
die den strengen Linien der Architektur Lebendigkeit und Eleganz verleihen.
Der Tempel als Spiegelbild des Kosmos
Die sakrale Architektur der Khmer basiert auf der Überzeugung, dass es eine
magische Verbindung zwischen Menschheit und Universum, dem Mikrokosmos und
dem Makrokosmos gibt. Man glaubte, dass die Menschen ständig dem Einfluss
kosmischer Kräfte ausgesetzt sind und dass ihr Wohlergehen davon abhängt, in
welchem Maße sie es verstehen, mit diesen Kräften in harmonischem Einklang
zu leben. Beim Bau eines Tempels stand deshalb das Bemühen im Vordergrund,
ein genaues Abbild des Makrokosmos zu schaffen. Das auf indische
Vorstellungen zurückgehende kosmologische Konzept sieht die Erde als ein von
Gebirgsketten umgebenes Viereck. Jenseits dieses Gürtels dehnen sich
unendlich weit die mythischen Ozeane aus. In der Mitte des Vierecks bildet
der Berg Meru die Weltachse. Auf mikrokosmischer Ebene wiederholt der Tempel
diese Gliederung. Seine Grundform ist ebenfalls viereckig. Er wird von einem
Wassergraben, den mythischen Ozeanen, umgeben, seine Umfassungsmauern
symbolisieren die Gebirgsketten, und die fünf Türme sind als der
fünfgipflige Berg Meru aufzufassen, auf dem die Götter ihren Wohnsitz haben.
Für die Gläubigen ist die Anlage ein Mandala. Im Überschreiten des
Wassergrabens, Durchqueren der Umfassungen sowie Besteigen des mehrstufigen
Heiligtums über die axialen Treppen legen sie einen spirituellen Weg zu
Erkenntnis zurück, gekrönt vom Anblick Gottes im Allerheiligsten. Als die
großartigste Schöpfung der Khmer-Architektur wird der gigantische Tempelberg
des Angkor Wat angesehen. Er wurde vermutlich während der Regierungszeit von
Suryavarman II. zwischen 1113 und etwa 1150 erbaut. Diese Leistung konnte
nur durch eine perfekt funktionierende Hierarchie mit einem genialen Planer
an der Spitze erbracht werden, der den Entwurf lieferte, einem gut
strukturierten Mittelbau von Technikern und Organisatoren, die die einzelnen
Arbeitsphasen aufeinander abstimmten und einer breiten Basis von erfahrenen
Handwerkern. Die das ganze Land in einem dichten Netz durchziehenden
Bewässerungskanäle wurden auch als Wasserstraßen genutzt und ermöglichten
eine schnelle Beförderung des Baumaterials von den Steinbrüchen an die
Baustelle.
Der Tempelberg misst an seiner Basis 187 x 215 Meter und erhebt sich in drei
Stufen bis zur Höhe von 65 Metern. Axiale Treppenfluchten führen von einer
Stufe zur anderen. Weitere Treppenaufgänge befinden sich jeweils an den
Eckpavillons. Jeder Absatz ist außen mit umlaufenden Galerien bebaut, die an
ihren Eckpunkten kreuzförmige Pavillons bilden. Über denen der mittleren und
obersten Stufe erheben sich die bienenkorbförmigen, horizontal gestuften
Türme. Zwischen den Galerien dehnen sich weitläufige Innenhöfe aus. Auf dem
obersten Massiv führen breite Säulengänge von der umlaufenden Galerie in den
kreuzförmig angelegten heiligen Bereich, der die quadratische Cella
umschließt.
Die Flachreliefs des Angkor Wat
Jede Stufe des gewaltigen Tempelbergs ist außen mit umlaufenden Galerien
bebaut. Auf der untersten Stufe werden die knapp fünf Meter breiten Gänge
von einer doppelten, das Kraggewölbe des Daches tragenden Säulenreihe
begrenzt, so dass ein Gang von etwa zwei Metern zwischen Säulen und
Innenwand entsteht. Auf dieser Wand befinden sich die zu Recht berühmten
Steinreliefs, die sich um den gesamten Tempelkomplex herumziehen, also bei
einer Höhe von gut zwei Metern und einer Länge von 544 Metern ganze 1088
Quadratmeter füllen. Sie sind so flach gearbeitet, dass sie auch "Fresken in
Stein" genannt wurden. Tatsächlich müssen sie auf den Pilger der Angkor-Zeit
den Eindruck von Wandgemälden gemacht haben, denn viele Partien waren
polychrom gefasst. Die ungewöhnlich flache Reliefierung ist eine der vielen,
sorgfältig geplanten Raffinessen, die der Tempel aufweist, denn in dieser
Form stören die unruhigen Szenen auf den Friesen nicht die klaren Linien der
Architektur. Auf den Achsen des Tempels werden die langen Flure durch
Treppenaufgänge unterbrochen, so dass insgesamt acht Abschnitte entstehen.
Die Flachreliefs auf allen acht Abschnitten sind von J. Poncar und seinem
Team im Rahmen des "German Apsara Conservation Project" nach dem
Slit-Scan-Verfahren fotografiert worden. In einem einzigen langen Negativ
wurde so das gesamte Bild erfasst. Der hier gezeigte Ausschnitt gehört zu
dem fast 100 Meter langen Fries der Nordgalerie/Westflügel, der in einem
Fluss, ohne Unterbrechung und ohne auch nur einen Zentimeter der Fläche
unbearbeitet zu lassen, den Kampf zwischen den Göttern und Dämonen
darstellt. Die Götter sind als Personifikationen menschlicher Ideale
vorzustellen, als die Gesetzmäßigkeit, das Schöne und die Gerechtigkeit. In
den Dämonen dagegen hat das Zivilisationsbedrohende und Chaotische Gestalt
angenommen. Der Urkonflikt zwischen diesen beiden Kräften beherrscht das
wechselvolle Schicksal der Welt. Mal halten die Götter die Vorherrschaft
inne, mal drohen sie, von den Dämonen besiegt zu werden. Stets ist es Gott
Vishnu, der im letzten Augenblick die entscheidende Rettungstat vollbringt
und die Gerechtigkeit auf der Welt wieder herstellt.
Der Bildablauf des Frieses ist so angelegt, dass sich in Abständen von
mehreren Metern ein Gott und ein Dämon im Einzelduell gegenüber stehen. Den
gesamten Raum um sie herum füllt ein Gewirr von Fußsoldaten, Reitern und
Wagenlenkern der Götter- und Dämonenarmee aus.
Die drei Gipsabgüsse aus dem Museum für Asiatische Kunst wurden 1986 nach
Papiermodeln hergestellt, die Ende des 19. Jahrhunderts vom damaligen
Königlichen Museum für Völkerkunde Berlin in Kambodscha angekauft worden
waren.
Mahayana- und Vajrayana-Buddhismus
Nur einige Jahrzehnte nach der Fertigstellung des Angkor Wat setzte ein tief
greifender religiöser Wandel ein. Zwar haben Brahmanismus und Buddhismus
stets nebeneinander bestanden, doch waren die meisten Khmer-Herrscher
Anhänger Shivas oder (seltener) Vishnus. Jayavarman VII. (1181 - um 1218)
folgte im Gegensatz dazu dem Mahayana-Buddhismus, den er zur Staatsreligion
machte, und alle Bauten, die während seiner Regierungszeit entstanden, waren
den buddhistischen Idealen von Mitgefühl und Weisheit verpflichtet. Am
deutlichsten ist dies an den Gesichtertürmen des Bayon zu erkennen, die wie
kein anderes architektonisches Phänomen die späte Angkor-Zeit prägen. Das
verinnerlichte Lächeln auf den monumentalen Gesichtern, das berühmte Lächeln
Angkors, vermittelt die tiefe Spiritualität, die für den Stil dieser Zeit
charakteristisch ist. Der Buddha auf dem Schlangenthron wurde zu einer der
wichtigsten und am häufigsten dargestellten Ikonen. Er repräsentiert die
absolute Vollkommenheit und die kosmische Qualität des erleuchteten Geistes.
Mit der Schlange wird möglicherweise auch das shivaitische Konzept von der
Kundalini Shakti aufgegriffen. Dass im Bild des Buddha auf dem
Schlangenthron brahmanische und buddhistische Konzepte ineinander fließen,
ist aus der engen Verbindungen beider Religionen in der Angkor-Epoche zu
erklären. Darüber hinaus hatte die Schlange von jeher große Bedeutung in
lokalen Kulten, die der Buddhismus zu integrieren suchte. Neben dem Buddha
war der Bodhisattva Lokeshvara "der Herr der Welt", der wichtigste Helfer
für die Gläubigen, den "Ozean der Wiedergeburten" zu überqueren. Er
verkörpert das unendliche Mitgefühl, das der Buddha für alle Wesen
empfindet, und der König, der sich mit ihm identifizierte, übernahm von ihm
den Auftrag, für seine Untertanen zu sorgen. "Unter den Gebrechen seiner
Untertanen litt er mehr als unter seinen eigenen. Der Schmerz des Volkes
nämlich, nicht der eigene, ist der Schmerz der Könige" heißt es in einer
Inschrift über Jayavarman VII. Von ihm sind, einzigartig in der Khmer-Kunst,
Porträtstatuen überliefert, die die Persönlichkeit dieses großen Herrschers
eindrucksvoll zu vermitteln vermögen. Auch der Vajrayana-Buddhismus
(Diamantfahrzeug) muss in der Zeit Jayavarmans VII. eine beträchtliche
Anhängerschaft gehabt haben. Auf diesem Heilsweg hat die Meditation über
Mandalas große Bedeutung. Die zahlreichen Gottheiten in den Mandalas sind
Personifikationen von verschiedenen Aspekten der Buddha-Natur, die in jedem
Wesen angelegt ist. Einer der wichtigsten Götter ist Hevajra, dessen Tanz
die Dynamik des Erleuchtungsprozesses als eines inneren Kampfes zwischen den
Kräften, die an den Dingen der Welt haften und denen, die sich von ihnen
befreien möchten, erkennen lässt.
Der Theravada-Buddhismus in der Post-Angkor-Epoche
Seit Anfang des 14. Jahrhunderts hat der in Sri Lanka und im Thai-Königreich
von Ayutthaya zu der Zeit vorherrschende Theravada-Buddhismus bei den Khmer
an Einfluss gewonnen. Nach einer längeren Übergangsphase, die von Angriffen
der Thais und einer zeitweiligen Besetzung Angkors geprägt war, wurde die
Hauptstadt im 15. Jahrhundert in die Nähe des heutigen Phnom Penh verlegt,
das wegen seiner Lage am Zusammenfluss von Tonle Sap und Mekong und der
größeren Nähe zum Meer beste Voraussetzungen für den Überseehandel mit China
bot. Das Land hatte nicht mehr die imperiale Größe der Angkor-Zeit, war aber
immer noch ein reicher Staat, dessen Bodenschätze, kostbare Hölzer und
seltene Wildarten begehrte Handelsgüter waren.
Inschriften bezeugen, dass der Angkor Wat im 16. Jahrhundert zu einem
buddhistischen Heiligtum umgewandelt wurde und Ziel von Pilgern aus ganz
Südostasien, seit dem 17. Jahrhundert auch aus Japan, war. In seinen
weitläufigen Galerien fanden viele Buddhafiguren Platz, die zum Teil noch
bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts dort von der ansässigen Bevölkerung
verehrt wurden. Ein charakteristischer Zug des Theravada-Buddhismus ist die
fast ausschließliche Verehrung des Buddhas Shakyamuni. Durch das Stiften von
Buddhafiguren konnten die Gläubigen religiöse Verdienste ansammeln, um in
eine bessere Wiedergeburt zu gelangen. Dies ist der Grund für die große
Menge von Buddhafiguren jeder Größe, die in allen theravada-buddhistischen
Ländern, je nach Finanzkraft des Auftraggebers, hergestellt wurden und bis
heute werden. So stehen auf den Altären der Pagoden häufig Statuen aus
verschiedenen Jahrhunderten nebeneinander und dienen den Gläubigen als
Meditationshilfe und Beispiel für die eigene Lebensführung. Ihre
Ausstrahlung von freundlicher Gelassenheit und Würde vermittelt die innere
Kraft des Erleuchteten.
Anfang des 18. Jahrhunderts begannen die Künstler unter dem Einfluss von
siamesischen (thailändischen) Kunstschulen das traditionell schlichte Gewand
des Buddhas mit prächtigen Ornamenten zu verzieren, was streng genommen ein
Widerspruch in sich ist, denn es steht im Gegensatz zu dem vom Buddha
geforderten Armutsgebot. Manche dieser geschmückten Figuren werden als
zukünftiger Buddha Maitreya gedeutet, der in Kambodscha als Heilsfigur
verehrt wird. Er wartet im Tushita-Himmel auf das Erscheinen eines mächtigen
Königs, um dann auf der Welt an seiner Seite die ursprüngliche Größe des
Landes wiederherzustellen.
Vom Ramayana zum Reamker
Das Ramayana ist ein indisches Vers-Epos, das vermutlich schon im 6.
Jahrhundert nach Südostasien gelangt ist und sich in seinen verschiedenen
lokalen Versionen bis heute ungebrochener Beliebtheit erfreut. Es erzählt
die Heldentaten des Königssohns Rama, der in die Wildnis verbannt wurde und
erleben musste, dass seine Frau Sita vom Dämonenkönig Ravana auf die Insel
Lanka entführt wird. Der größte Teil des Epos schildert die Kämpfe, die er
und sein Bruder Lakshmana zu bestehen haben, um Sita zu befreien.
Unterstützt werden sie dabei von der Armee der Affen unter ihrem General
Hanuman. Nach vielen Rückschlägen und Schwierigkeiten wird Ravana getötet
und Sita, die das Ideal der treuen Gattin verkörpert, kommt frei. Die
Geschichte greift mit ihren Nebenhandlungen und ausschmückenden Episoden
alle vorbildlichen und niederen Aspekte menschlicher Empfindungen,
Leidenschaften und Verhaltensweisen auf. Rama ist der edle Held und Ravana
der Inbegriff des Schurken. Ihr Kampf symbolisiert den universalen Konflikt
zwischen dem Guten und dem Bösen. Als Inkarnation des Gottes Vishnu bleibt
Rama siegreich, denn das Gute muss sich durchsetzen. Unzählige Steinreliefs
an den Tempeln Angkors zeugen von der großen Bedeutung des Ramayana.
Die kambodschanische Fassung des Epos, das Reamker (oder Ramakerti), seit
dem 16. oder 17. Jahrhundert schriftlich überliefert, hat die Erzählung dem
Gedankengut des Theravada-Buddhismus angepasst. Rama (Khmer: Preah Ream)
wird nun als Bodhisattva verstanden, der schon erleuchtet ist, aber darauf
verzichtet, in das Nirvana einzugehen, um den Menschen zu helfen, den
rechten Weg zu finden. So behielt das Epos weiterhin seinen unübertroffenen
Wert als Träger religiösen Wissens und Vermittler ethischer und moralischer
Normen. Wie sehr die dramatischen Ereignisse von der Befreiung Sitas bis
weit in das 20. Jahrhundert hinein das künstlerische Schaffen Kambodschas
geprägt haben, zeigen die Wandmalereien in vielen buddhistischen Pagoden,
die diese Thematik aufgreifen. Ein tragisches Beispiel für die ungebrochene
Bedeutung des Reamker ist das Schicksal einer jungen Frau, die von den Roten
Khmer ermordet wurde. Sie hatte die Liebesbriefe aus dem Gefängnis an ihren
Mann mit Seda (Sita) unterzeichnet, weil sie sich in den Qualen der
Gefangenschaft mit ihr identifizierte und, leider vergeblich, darauf hoffte,
wie Sita von ihrem Mann befreit zu werden.
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